Schreibwerkstatt: Chekovs Gun

Nach Teil (1) Setup und Plot heute Gedanken zu einer ganz besonderen Waffe.

Chekovs Gun oder Chekovs Waffe oder auch Chekovs Gewehr ist eine Regel der Erzählökonomie, die auf einen Briefwechsel des russischen Schriftstellers Anton Tschechow (der auf englisch Chekov geschrieben wird) benannt ist. Wie so viele Regeln ist es mehr eine Leitlinie oder eine gute Idee, denn ein Gesetz.

Ich mag den darin enthaltenen Gedanken aus mehreren Gründen und möchte das Prinzip daher einmal vorstellen.

Anton Tschechow lebte und schrieb in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Der Kirschgarten (1904), die Möwe (1896) und Onkel Wanja (1898) und die drei Schwestern (1901). Und die Waffe?

Über die hat er sich an mehreren Stellen geäußert. Bereits 1889 beschwerte er sich in einem Brief darüber, dass ein ihm befreundeter Autor ein Thema einführe aber dann nicht ausführe. Diesen Gedanken erwähnte er dann in verschiedenen Formulierungen ab 1889. Sein Vergleich oder Prinzip formulierte er so:
„Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn man nicht die Absicht hat, dass daraus ein Schuss abgefeuert wird.“ Oder strikter: „Wenn im ersten Akt ein Gewehr gezeigt wird, dann muss im letzten Akt ein Schuss fallen“

Die besagte Waffe, über die Tschechow sich beschwerte war ein Monolog, dem er keine Verbindung oder Mehrwert für den Rest des Stückes zuerkannte.

Wie hilft mir das?

Na ganz einfach: Wenn es im Text steht, dann muss es von Bedeutung sein!

Wir benutzen Eigenschaften und Gegenstände um dem Leser (oder Zuschauer) die Figuren und Charaktere näher zu bringen. Nicht jede Handlung kann und muss für die ganze Geschichte von Bedeutung sein aber je homogener sich alles zusammenfügen lässt, desto besser ist am Ende die ganze Geschichte.

Konkreter: Man tut gut daran hin und wieder zu überprüfen ob Szenen und Figuren zur Geschichte passen. Ich hatte in meinem ersten Roman zwei Figuren, die eine gute Dynamik hatten und mir an sich Spaß gemacht haben. Das Problem: Sie haben nichts zur Handlung beigetragen. Sie konnten ersatzlos gestrichen werden – und das wurden sie auch.

Warum waren sie überhaupt drin? Es war einfacher meinen Protagonisten darzustellen, wenn er sich in einer/seiner Welt bewegt. Ehrlicherweise habe ich einfach noch Zeit gebraucht um meinen Protagonisten wirklich kennenzulernen.

Aber wirkt das nicht arg berechnend?

Na klar, wenn jede Szene nur als Setup für einen späteren Payoff dient, wirkt das mechanisch. Person A holt Gegenstand B um dann bei Person C gegen D zu tauschen. Das ist zu wenig und das Fleisch einer tollen Story ist ja wie sie erzählt ist (Dazu hier der sehr witzige Trend Filme katastrophal zusammenzufassen. Doch die Story wird auch in der schlechten Zusammenfassung erzählt). Wir benötigen (und ich als Leser mag) Szenen, die nicht nur die Handlung vorantreiben, sondern helfen unsere Figuren kennenzulernen. Mehr noch, so werden Figuren überhaupt erst lebendig.

Trotzdem, wichtige Details ohne Payoff laufen schnell Gefahr nur behauptet zu sein.

Was heißt das jetzt wieder?

Behauptungen

Eine Behauptung ist eine Äußerung in der etwas als Tatsache hingestellt wird, was möglicherweise aber keine ist. Das möglicherweise (i) ist der Knackpunkt. Ein Gegenstand oder eine Eigenschaft haben demnach drei Möglichkeiten im Verlauf der Geschichte vorzukommen: Die Behauptung stellt sich als (1) wahr oder (2) falsch heraus (das wird Thema im nächsten Beitrag sein – stay tuned!). Oder die Behauptung wird nicht wieder aufgenommen (Chekovs Gun).

Manche Autoren schreiben für ihre Charaktere ganze Lebensläufe, andere beleuchten nur die aktuell wichtigen Facetten. Beides ist in Ordnung, aber beides setzt voraus, dass Charaktere erst dann funktionieren, wenn sie sich in sich stimmig verhalten. Ich darf als Leser eine Erwartungshaltung entwickeln.

Wenn ich einen Charakter als Meisterschützen einführe muss ich ihm irgendwann eine Waffe in die Hand geben. Ein Charakter mit Drogenproblemen muss in Versuchung geführt werden und ein Mathegenie eine Gleichung lösen oder ein Passwort knacken.

Stellen wir uns für einen Moment vor, dass Neo aus Matrix lernt Kugeln auszuweichen und dann wird einfach nie mehr auf ihn geschossen. Oder Dorys Gedächtnis in findet Nemo. Oder Bonds ewiges Bestehen auf einem geschüttelten Martini (aufgelöst in Casino Royal).

Es ist spannend, ob die Behauptung nun wahr ist oder nicht.

Und an dieser Stelle löse ich endlich das Versprechen meines Kalenders ein (der übrigens durch das 2023er Modell abgelöst wurde). Hat noch jemand darauf gewartet? Das war natürlich nicht wichtig, aber als offenes Ende will es geschlossen werden. Hier als Beispiel.

Und nu?

Schön und gut. Man sollte sich überlegen was man einführt, aber sonst?

Es gibt eine zweite Seite: Viele Geschichten schaffen es nicht in der ersten Rohfassung sauber durch den Plot zu kommen. Die Teile greifen mal besser und mal schlechter ineinander. Wenn ich nun eine neue Verbindung suche, dann ist es ratsam an Chekov zu denken: Was ich brauche ist ein Schuss. Damit dieser gut knallt führe ich die Waffe also besser am Anfang der Geschichte ein.

Heißt, dass ich bei der Überarbeitung nicht nur die Problemstelle kitte, sondern auch eine zweite Stelle aufmachen muss (oder soll), die die Lösung vorbereitet. Und jetzt sind wir bei einer dritten Erkenntnis:

Erzählökonomie

Greifen zwei Handlungsstränge nicht ineinander und müssen „neu“ verzahnt werden, dann lohnt sich ein Blick zurück. Nicht jede Herausforderung ist wirklich neu. Hat ein Charakter eine Situation auf eine bestimmte Art gemeistert, dann kann er das ruhig nochmal machen. Wie verhalten wir echten Menschen uns denn?

Chekovs Gun ist für mich daher ein Prinzip der Erzählökonomie. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zu Ockhams Razor aus der Philosophie. Diese wird das Sparsamkeitsprinzip genannt. Nicht unnötig Variablen erschaffen. Wenn die bewährten Mittel nicht ausreichen, muss man nicht gleich ein Neues erschaffen, vielleicht reicht es ja aus, die alten Mittel neu zusammen zu fügen.

Neue Mittel bergen ohnehin eine Gefahr: Wie oft fragt man sich warum ein Charakter etwas, was er scheinbar beherrscht in der gleichen Situation fünf Kapitel vorher nicht bereits gemacht hat? (Die Schlacht von Königsmund in GoT anyone?).

Ein Charakter ist mir ans Herz gewachsen, wenn ich ihn verstanden habe. Die Hoffnung, dass im Bösen noch ein Funken Güte ist, die Stärke über sich hinauszuwachsen, wenn es um etwas Großes geht. Dieses Gute und dieses Große müssen gepflanzt werden. Und wenn es Zeit ist zu ernten, dann sollte auch das passieren.

Wenn eine Geschichte dadurch aber zu konstruiert und hölzern wirkt, dann muss eine andere Technik her. Dazu im mehr nächsten Beitrag.

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