Schreibwerkstatt: Der rote Hering

Nachdem ich & damit wir uns Grundgedanken zu Setup&Plot gemacht hatten, haben wir uns mit Chekovs Gun einer konkreten erzähltheoretischen Technik gewidmet. Ich habe auch die Gefahr genannt, dass eine Geschichte irgendwann zu konstruiert wird. Daran möchte ich hier anschließen und eine zweite Technik vorstellen, die genau damit spielt.

Da wir hier im Kern des Storytellings sind, spielt es keine vordergründige Rolle ob wir Romane, Comics oder Theaterstücke betrachten. Es geht um Figuren und ihre Entwicklung mit und um die Geschichte. Vielleicht ist es wieder mein Alter, aber gerade bei Fernsehserien habe ich immer häufiger das Gefühl, das gewisse Plotpoints stumpf abgearbeitet werden. Ich sitze dann da und warte nicht darauf, dass die Figur sich entwickelt, sondern das der Drehbuchautor (oder Showrunner) das tut was er immer tut. Beispiel gefällig?

–          Die böse Frau ist viel zu gut aussehend um wirklich böse zu sein, da kommt noch die Wende!

–          Ein Mann und eine Frau, ich bin ja mal gespannt ob die ohne Liebesgeschichte auskommen? (not!)

–          Wir haben immer wieder gesehen/gelesen, wie der Gute nur eine Schwäche hatte. Schauen wir mal ob der Böse genau diese ausnutzen wird…

–          …und der Held diese dann endlich überkommt…

–          …und die Frau küsst in die er heimlich verliebt war…

Ok, ich glaube das reicht. Das hier ist ja auch nicht nur Chekovs Gun, sondern eine reine Klischee-Story. Als kleine Lehrstunde:

„Klischees sind vorgeprägte Wendungen […] die ohne individuelle Überzeugung unbedacht übernommen werden.“

Ich will hier nicht auf Klischees raus, aber manchmal sind Wendungen in Geschichten einfach so vorhersehbar. Und dann werden sie trotzdem als Überraschung verkauft. Das ist Ok, aber das geht besser. Nur wie?

Red Herring

Naja, zum einen durch Chekovs Gun, aber zum anderen eben gerade nicht. Wenn man nur so tut als würde man Chekovs Gun benutzten, dann führt man den Leser/Zuschauer auf eine falsche Fährte. Diese falsche Fährte heißt red herring, oder auch auf deutsch: roter Hering.

Die Herkunft dieses Namens finde ich amüsant: Mitte des 19.Jahrhunderts (also um die Geburt von Anton Tschechov, der damit aber nichts zu tun hatte), etablierte sich das Gerücht, dass Jagdhunde durch einen geräucherten Hering von der Witterung abzubringen sind. Führt man eine Spürnase also an dieser herum, dann nutzt man dazu einen red herring. Das ist umso erstaunlicher, als es einfacher Unsinn ist.

Damit zurück zur Technik. Ein roter Hering ist eine falsche Fährte. Diese kann man nun auf zwei Arten nutzen, von denen mir eine besser gefällt als die andere: Intrinsisch oder Meta.

Intrinsische Heringe

Wäre ein guter Bandname. Doch zurück zum Thema: Intrinsische Heringe ähneln Chekovs Gun: Eine Eigenschaft oder ein Gegenstand wird eingeführt und etabliert, nur um dann für die finale Auflösung keine Rolle mehr zu spielen. Keine Rolle spielen bedeutet aber nicht, dass es keine Auflösung gibt. Das Thema wird eingeführt und bedient, die Waffe feuert.

Zur Verdeutlichung nehmen wir folgende Geschichte (die KEIN roter Hering ist): Unser Held erfährt auf dem Totenbett von seinem Meister die einzige Schwäche seines abtrünnigen Schülers. Der Held sucht den Schüler und stellt diesen, nur um im Kampf zu merken, dass dieser die Schwäche ablegen konnte. Am Ende muss der Held erneut über sich hinauswachsen und den Schüler aus eigener Kraft besiegen.

Die Schwäche bedient hier die Geschichte, sie ist eine falsche Fährte, aber eine die die Geschichte vorantreibt. Wir lernen etwas über den Bösen (nämlich, dass er sich seiner Schwächen bewusst ist und dass er noch stärker werden konnte). Die Entwicklung findet vertikal statt (dazu ein ander mal mehr).

Nun ein echter red herring: Unser Held klärt eine Verbrechensserie auf und trifft an mehreren Tatorten eine Frau. Ein Zufall scheint ausgeschlossen. Als er sie stellen will, rennt sie davon. Im Verlauf der Geschichte schafft er es, ihre Spur wieder zu finden. Schließlich stellt sie sich als Journalistin heraus, die die Verbrechen ebenfalls untersucht. Ihr bester Hinweis ist eine Spur, die der Held schon abgehakt hat. Dennoch nimmt er sie mit auf die Suche nach dem wahren Täter.

Selbst wenn sich die Frau im weiteren Verlauf der Geschichte als nützlich erweisen sollte, war seine Suche nach ihr und Ihre Verwickelung mit den Tatorten nichts, was mit der eigentlichen Geschichte zu tun hat. Es kann dennoch viel Spaß machen so einen Seitenstrang zu lesen und wir erfahren dabei auch wieder Dinge über unseren Helden. Die Entwicklung fand (eher) horizontal statt, das heißt, dass wir dem Ende der Geschichte nicht näher gekommen sind.

Ich glaube, dass man mit roten Heringen sehr vorsichtig sein sollte. Eine falsche Fährte verlangt zwingend danach, dass es immer noch eine richtige Geschichte gibt, die ebenso plausibel aber weniger vordergründig stattfindet. Wenn man nicht aufpasst riecht am Ende alles nach Fisch (So ging es mir zum Beispiel beim Film Now You See Me, der zwar sehr unterhaltsam ist, aber aus so vielen falschen Fährten besteht, dass die eigentliche Geschichte gar nicht mehr erkennbar ist. Es ist ein Fest an Twists and Turns, aber kein Lehrbuch in Sachen Storytelling.).

Voll Meta

Schwieriger finde ich Meta-Heringe. Wenn einem Leser oder Zuschauer ganz gezielt eine Erwartungshaltung gegeben wird, die dann erfüllt oder enttäuscht wird. Da kommt die Handlung dann nicht aus den Figuren und dem Plot, sondern verkommt zum performativen Akt. Nicht die Figur hat sich glaubwürdig verhalten, sondern der Autor hat den Leser drangekriegt. Eine normale Geschichte muss für sich selbst stehen können. Was im übrigen keine Herabsetzung von wirklicher Meta-Ware ist, es ist ein anderer Anspruch. Und dieser ist auch so alt wie das Geschichtenerzählen selbst. Während wir Sheherazades Märchen lauschen, bei der eine Geschichte in einer Geschichte erzählt wird, werden wir gleichsam zum König der im Wald der Geschichten untergeht und nicht mehr weiß welcher er jetzt folgt. Andere tolle Beispiele sind „S“ von J.J. Abrams oder Geschichten die uns moralisch verunsichert zurücklassen (Dürrenmatt oder Schirach (speziell sein Theaterstück „Terror„)sind da prominente Beispiele. Diese Geschichten dienen nicht der bloßen Unterhaltung, sondern legen den Finger in die menschliche Wunde, der Unschärfe unserer Moral).

Ich habe selbst oft gedacht, dass ich einmal Geschichten ohne abgewetzte Happy-Ends schreiben werde, einfach weil ich einige schlechte Happy-Ends gelesen und gesehen habe. Dieser Antrieb wäre so ein Meta. Da spricht der Autor und nicht die Charaktere. Es ist auch nicht einfach als Autor die Klappe zu halten, wenn die Figuren nichts zu sagen haben, aber das darf man nicht an der Geschichte auslassen. Im schlimmsten Fall kann man ja einen Blog schreiben. So, genug Meta.

Nächste Woche beschäftige ich mich nochmal mit Entwicklung, und dann kann ich hoffentlich wieder von meiner eigenen berichten. 

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