Stört Theorie die Kreativität?

Aktuell bin ich ein besserer Musiker als Autor, doch das möchte ich ändern. Da ich nicht vorhabe, als Musiker schlechter zu werden, muss ich als Autor besser werden. So einfach kann das Leben sein.

Um Musik zu machen muss man sein Instrument beherrschen. Die ersten Akkorde auf der Gitarre sind schnell gelernt. What‘s Up? von 4 Non Blondes geht schon nach einer Woche ganz gut. Ob man Fehler macht hört man ja. Jetzt hat man die ersten Akkorde drauf und Griffwechsel sind auch kein Problem mehr. Der nächste logische Schritt war auch bei mir eine Lektion in Theorie.

Das Verständnis dafür, warum das funktioniert was man macht. Jetzt hat man einige Fortschritte gemacht, spielt vielleicht sogar schon ein paar Jahre und startet wieder bei Null.

Das ist frustrierend. Manche schlucken die Pille und lernen. Andere suchen nach Ausreden. Und um die geht es mir hier, weil ich die gleiche Leier in Autorenforen gelesen habe. Konkret eine Ausrede in zwei Formulierungen:

(Ich habe angst, dass:) Theorie schränkt die Kreativität ein.

Alternativ als Frage: Muss ich die ganze Theorie wissen um schaffen zu können?
Oder anders: Wenn ich mich darauf konzentriere wie ich schreibe, dann geht meine Energie ja weg von was ich schreibe (…und das ist doch das wichtigere?)?

Einfache Antwort: Nein.

Länger: und nochmals nein!

Was ist denn überhaupt Theorie?

Frei zitiert bezeichnet eine Theorie ein System von Aussagen, dass die Realität oder deren zugrundeliegende Gesetzmäßigkeiten erklärt.

Die Theorie kann mir also erklären warum etwas so ist wie es ist. Sie kann eine Erklärung dafür liefern, warum manche Töne gut zusammen klingen. Aber auch einfache (von wegen!) Dinge wie Grammatik. Einen ungrammatischen Satz kann man nicht lesen. Beispiel gefällig?

Mitte ein Roßhändler namens Schulmeisters der rechtschaffensten Zeit An den zugleich Ufern um die Michael der Havel, des sechzehnten Kohlhaas Jahrhunderts Sohn eines, einer und seiner entsetzlichsten Menschen lebte,,,.

Dabei sind alle Wörter richtig geschrieben. Wir könnten auch noch die Buchstaben auflösen und wirklich aufräumen.

Natürlich läuft kaum jemand Gefahr so etwas zu schreiben, nur weil er die Theorie nicht beherrscht. In reiner Logik haben wir aber bereits jetzt gezeigt, dass es ohne Theorie nicht geht. Jetzt können wir uns um das wieviel streiten.

Ich bin jetzt nett und versuche zu retten was zu retten ist. Ich verstehe nämlich den Impuls. Da habe ich die Geschichte im Kopf und soll nun erst einmal den Unterschied zwischen Adjektiven und Adverben lernen?

Ja, nein, so natürlich nicht. Niemand hat gesagt, dass man mit der Theorie beginnen muss. Ich habe auch drauf los geschrieben bis ich nicht mehr weiterkam. Das war manchmal bereits auf Seite zwei…

Zwischendrin zu Version zwei des Arguments: Der Musiker XY kann auch keine Noten lesen und ist ein Star (z.B. Jimi Hendrix, Noel Gallagher) bzw. wird als Virtuose gefeiert.

Das ist kein Argument (beziehungsweise ein beliebter Fehlschluß (Korrelation). Es wird so getan, als sei das Unwissen hilfreich bei der künstlerischen Schöpfung. Dabei könnten manche dieser Genies noch viel bessere Kunst geschaffen haben, wenn sie gewusst hätten wie. Wir werden es nie wissen. Was wir aber wissen, ist das den wenigen Genies haufenweise Handwerker gegenüber stehen. Diese wissen schlicht was sie tun.

Den Erfolg kann man ohnehin nicht buchen. Jetzt kann man sich überlegen ob man bei der Restchance lieber mit oder gegen die Statistik wetten möchte.

Zurück zum Thema. Nein, noch ein Einschub: Selbst die Genies die nicht wissen warum sie tun was sie tun, folgen letztlich den Regeln. Das ist als Autor noch deutlicher, denn als Musiker. Ich kenne spontan zwei Werke, die sich nicht an Satzbau und Grammatik im klassischen Sinn halten und dann in die Nähe dessen kommen, was ich oben als Beispiel fabriziert habe.: Finnegans Wake von James Joyce und Naked Lunch von William S. Burroughs. Ich bin bereit jede Summe zu wetten, dass keines der beiden Bücher, von mir als Erstlingswerk eingereicht, veröffentlicht werden würde. Nicht mal im Ansatz.

Jetzt aber wirklich zurück zum Thema. Was in der Musik Tonart, Intervalle und Frequenzen, sind als Autor eben Grammatik, Dramaturgie und Perspektive.

Je mehr man kann, desto mehr macht man blind. Im Jazz sind viele „falsche“ Töne erlaubt. Aber erlaubte falsche Töne sind nicht zufällig richtige Töne.

Theorie hilft zu verstehen, warum Sachen so sind wie sie sind. Überlegungen zu Spannungskurven helfen mir ein Ziel zu definieren und darauf zuzuschreiben. Ein ordentliches Schreiben hat erst einmal nichts mit einer spannenden Geschichte zu tun. Eine gute Geschichte muss gut erzählt werden, erst dann macht es Spaß sie zu lesen.

Theorie schränkt einen nicht ein. Sie bringt einen weiter. Theorie killt Kreativität ist eine faule Ausrede.

Ich glaube an meine Geschichte, daher arbeite ich an der Erzählung.

Ach ja: Ein Adjektiv kann man beugen (Komparativ < Superlativ), ein Adverb nicht. Adverbien konkretisieren einen anderen Satzbestandteil (Ich arbeite freiwillig im Zoo; Ich trage aktuell einen Hut). Zu Deutsch heißen sie Umstandswörter.

Gern geschehen.

2 Comments

  1. […] einfällt. Zugegeben, damals wusste noch (zu) wenig über Spannungskurven und deren Verteilung. Einige Gedanken dazu habe ich ja hier schon niedergeschrieben. Heute kann ich aber sagen, dass mein größtes Versäumnis der […]

    21. Juni 2022
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  2. […] aufmachen, vielleicht kommt die Kreativität ja später“ Faule Ausreden, die ich hier auch schon mal angesprochen habe und deren Opfer und Täter ich auch war (und […]

    3. November 2022
    Reply

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